Friedrich Rückert ist als Dichter, Orientalist und Sprachgelehrter weithin bekannt; weniger bekannt ist, dass sein literarisches Schaffen tief in der Theologie wurzelt. Die Tagung Rückert als Theologe (17.-19. September 2026, Schweinfurt) geht systematisch der These nach, dass Rückerts kulturvermittelnde Arbeit und sein poetisches Projekt der Weltversöhnung theologisch fundiert sind.
Wie der Autor selbst in einem Brief bezeugt, wurde er „von christlichen Eltern protestantisch lutherischer Confession“ geboren. Bereits während seines Studiums in Würzburg, Heidelberg und Jena (1806-1812) habe er dann „nicht nur einen vollständigen juristischen Curs gemacht […], sondern auch von theologischen Collegien soviel gehört, als mir zur Einleitung und ersten Begründung der […] orientalischen Sprachwissenschaften dienen konnte.“ (Brief an die Universität Erlangen, Schweinfurt, 21.VII.1826.) Diese Vorlesungen waren Voraussetzung für die Verleihung der Professur für orientalische Philologie an der Universität Erlangen. Sie belegten aber auch die Verbindung von Theologie und naturwissenschaftlichen bzw. wissenspoetischen Interessen Rückerts. Dies spiegelt sich auch im Werk des Autors wider, so dass Monhoff in diesem Fall von einer ,Dichtungsreligion‘ spricht und dabei seine poetisch fundierte, integrative Weltanschauung meint, die Religionen und Kulturen nicht ersetzt, sondern durch ihre besten Elemente ästhetisch vereint (Monhoff 2021, S. 148 u. ö.). Folgt man der These, dass die Rezeption Luthers und der reformatorischen Ideen im 19. Jahrhundert vielfältig war und sogar gegenläufige Tendenzen aufwies (vgl. Beutin 2019, S. 283-311), dann ist Rückerts Werk in einer theologischen Strömung zu verorten, die für ein allgemeines, überkonfessionelles Glaubensverständnis plädierte. Die Tagung soll der Frage nachgehen, wie dieses theologische Fundament Rückerts Werk prägt. Sie schlägt dazu einen interpretatorischen Dreischritt vor: von der Theologie über die Sprache zur Kultur. Dies entspricht einer Entwicklung von einer streng lutherischen Rezeption über einen überkonfessionellen zu einem überreligiösen Glauben. Rückerts theologische Prägung erscheint dabei nicht als dogmatische Haltung, sondern als Grundlage eines poetischen Weltzugangs, der auf Dialog und kulturelle Vermittlung zielt – Themen, die angesichts aktueller Entwicklungen von höchster Relevanz sind.
Rückerts expliziteste Religionsreflexion lässt sich in Texten aus der christlichen Tradition wie der Evangelienharmonie Leben Jesu (1839), ein – zumindest zeitgenössisch so gelesen – mögliches poetisches Gegenbekenntnis zu David Friedrich Strauß’ historisch-kritischem Leben Jesu, oder seinem Drama aus der heiligen Geschichte Saul und David (1843) erkennen. Gleiches gilt für die zwei Teile von Herodes der Große (1844). Auch diese fügen sich in ein breiteres Panorama der Theaterproduktion ein, in dem auch andere bedeutende Namen Dramen mit ähnlicher Thematik verfassen – man denke etwa an Gutzkows König Saul (1839) oder das spätere Herodes und Mariamne (1849) von Hebbel. Diese Texte sind allerdings im Hinblick auf den Religionsbegriff Rückerts kaum Gegenstand der Forschung gewesen. Vielmehr sind es andere Werke, die im religiös-interkulturellen Kontext kanonischen Status erlangt haben, wie der Shi-King (1831) und Die Weisheit des Brahmanen (1835f.), in denen Rückert eine tiefgründige, teilweise mystisch gefärbte Auseinandersetzung mit interreligiösen Themen präsentiert, die über die traditionellen kulturellen Grenzen Europas hinausgeht (vgl. Fischer 1994; Kuschel 2008; Kuschel 2021). Diese belegen allerdings keine strikt lutherische Rezeption, sondern bereits ein überkonfessionelles, sogar überreligiöses Interesse. Wenn man der These folgt, dass sich dieses Interesse in „Liebe, Lebensweisheit und Religion“ (Prang 1963, S. 191) vereint, dann lässt sich dieses Prinzip auch in scheinbar nicht explizit religiösen Texten wie dem Liebesfrühling (1821) oder den Kindertotenliedern (1834) erkennen. Rückert zeigt in seinem Schaffen eine tiefgehende theologische Reflexion, die – obwohl nicht in Form einer systematisierten Darstellung oder Ähnlichem abgefasst – eine Art religiösen Synkretismus offenbart, der darauf abzielt, den Glaubensbegriff in allgemeingültigen, die Menschheit versöhnenden Weisheiten zu erweitern. Diese Grundthese genau zu untersuchen, soll Ziel der Tagung sein.
Im Verlauf der Tagung soll eine Antwort auf u. a. folgende Fragen gefunden werden:
- Welche Rolle spielt die Theologie im Denken und Dichten Friedrich Rückerts? Wie konkretisiert sich diese Prägung in seinen Texten? Welche Entwicklung ist nachzuzeichnen?
- Wie verbinden sich in Rückerts Werk Religion, Dichtung und Wissenschaft?
- Wie lässt sich Rückerts Verhältnis zum Christentum und insbesondere zum Luthertum beschreiben? Inwiefern lässt sich Rückerts Dichtung als Ausdruck eines überkonfessionellen oder überreligiösen Glaubens verstehen? Wie bringt Rückert unterschiedliche religiöse Traditionen miteinander in Beziehung?
- Wie wird Religion bei Rückert ästhetisch gestaltet? Ist es eher als Thema, als Haltung oder als Form präsent?
- Wie sind Rückerts theologisch fundierte Texte im Kontext des (frühen) 19. Jahrhunderts zu verorten? Welche komparatistischen Ansätze bieten sich an?
- Welche Bedeutung hat Rückerts Werk im interreligiösen Dialog seiner Zeit? Welche Impulse bietet es für die Gegenwart? Was kann Rückerts Denken und Schreiben heutigen Debatten über Religion, Toleranz und kulturelle Verständigung anbieten?
(Nachwuchs)Wissenschaftler/innen unterschiedlichen Fachausrichtungen sind herzlich eingeladen, sich mit einem eigenen Projekt an der Tagung zu beteiligen. Willkommen sind Beiträge, die sich entweder der Analyse eines einzelnen Werkes Friedrich Rückerts widmen oder vergleichende Perspektiven zu anderen Autoren, religiösen Strömungen oder kulturgeschichtlichen Entwicklungen seiner Zeit eröffnen. Die Reise- und Übernachtungskosten der Vortragenden werden übernommen. Bewerbungen in Form eines Abstracts (max. 500 Wörter) sind bis zum 31. Juli 2025 an marco.rognini@uni-wuerzburg.de einzusenden.
Bibliographie:
Beutin, Wolfgang: Die Literatur der Reformation und die Reformation in der deutschsprachigen Literatur. Berlin et al: Peter Lang 2019.
Horvárth, Géza (Hg.), Luther und die Reformation im Spiegel der deutschsprachigen Literaturen im 18., 19. Und 20. Jahrhundert. Würzburg: Königshausen & Neumann 2019.
Fischer, Wolfdietrich: „Zu Friedrich Rückerts Religionsbegriff. Sein Verhältnis zu Christentum und Islam“, in: Rückert-Studien VIII. Würzburg: Ergon Verlag 1994. S. 101-122.
Kuschel, Karl-Josef: „,Weltweisheit lehr‘ ich dich, nicht Weisheit dieser Welt‘ – Friedrich Rückerts bleibende Herausforderung zu einem Dialog der Religionen“, in: Rückert-Studien XXII. Baden-Baden: Ergon Verlag 2021. S. 307-320.
Kuschel, Karl-Josef: „Weisheit als interkulturelles und interreligiöses Ideal. Ein Blick auf Friedrich Rückerts Buch die Weisheit des Brahmanen im Interesse des interkulturellen und interreligiösen Dialogs heute“, in: Rückert-Studien XVII. Würzburg: Ergon-Verlag 2008. S. 153-174.
Monhoff, Sascha: „,Hauch Gottes, Poesie…‘ – Rückerts Welt- und Dichtungsreligion“, in: Rückert-Studien XXII. Baden-Baden: Ergon Verlag 2021. S. 147-170.
Prang, Helmut: Friedrich Rückert. Geist und Form der Sprache. – Schweinfurt: Selbstverlag der Stadt Schweinfurt 1963.
Weidner, Daniel: „Die Bibel wiederholen. Johann Peter Hebel, Friedrich Rückert, Ernest Renan und die Evangelien“, in: Rückert-Studien XVII. Würzburg: Ergon-Verlag 2008. S. 175-198.
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Kontakt:
Marco Rognini
Universität Würzburg
Institut für deutsche Philologie / Neuere Abteilung
Lehrstuhl für neuere deutsche Literatur- und Ideengeschichte
Am Hubland
D-97074 Würzburg
Raum: 4.O.2
E-Mail: marco.rognini@uni-wuerzburg.de
Prof. Dr. Maximilian Bergengruen
Universität Würzburg
Institut für deutsche Philologie / Neuere Abteilung
Lehrstuhl für neuere deutsche Literatur- und Ideengeschichte
Am Hubland
D-97074 Würzburg
Raum: 4.O.13