Friedrich Rückert

Brief an Lorenz Sixt von 1805

Friedrich Rückert

1788 – 1866

Dichter, Philologe und Zentralgestalt der akademischen Orientforschung in Deutschland: Für die zahlreichen Verdienste Friedrich Rückerts sind seine ungewöhnliche Sprachbeherrschung wie auch die besondere Konstellation historischer Umstände gleichermaßen entscheidend. Erfahren Sie im Folgenden mehr darüber, was Friedrich Rückert als Schriftsteller und Sprachwissenschaftler des 19. Jahrhunderts auszeichnet – und warum er bis heute nichts an Aktualität eingebüßt hat.

Friedrich Rückert, Stahlstich von Carl Barth, 1840

Friedrich Rückert (1788–1866) – Chronologie

1787
Am 14. Juli heiraten in Schweinfurt Rückerts Eltern, der Hofadvokat Johann Adam Rückert (* 1763) und die Advokatentochter Maria Barbara Schoppach (* 1766).
1788 – 1793
Am 16. Mai kommt Friedrich Rückert in Schweinfurt zur Welt. Er wird auf die Namen Johann Michael Friedrich getauft. In Schweinfurt werden außerdem 1790 Rückerts einziger Bruder Heinrich († 1818), 1791 die älteste Schwester Sabine Sophie († 1848) und 1793 die Schwester Anna Magdalena († 1795) geboren.
1793 – 1797
Die Familie zieht nach Oberlauringen, wo der Vater bis 1802 als Amtmann tätig ist. Dort kommen auch die Schwester Ernestine Helene (1795–97) und Susanna Barbara (1797–1801) zur Welt. Friedrich Rückert erhält Unterricht in der Dorfschule und bei der Geistlichkeit.
1797
Am 17. November wird Rückerts spätere Frau Luise Wiethaus-Fischer († 1857) in Bayreuth geboren.
1802 – 1805
Rückert besucht das Schweinfurter Gymnasium Gustavianum, das er am 4. Oktober 1805 mit sehr guten Abschlussnoten verlässt.
1805
Am 9. November schreibt sich Rückert an der Universität Würzburg als Student der Jurisprudenz ein. Er wohnt in der Kapuzinerstraße 34 und schließt Freundschaft mit dem Medizinstudenten Christian Stockmar (1787–1863; 1821 geadelt) aus Coburg.
1806 – 1807
Rückerts Vater lebt als Districts-Commissär mit der Familie in Rügheim. Rückert belegt neben Jura auch ‚Griechische Mythologie‘ und ‚Naturphilosophie‘.
1807 – 1808
Die Familie Rückert lebt in Seßlach, wo der Vater als Territorial-Commissär nun seinen Dienstsitz hat. In den Semesterferien verfasst Friedrich Rückert hier seine ersten Gedichte. Im Wintersemester 1807/08 wohnt er in Würzburg in der Sandergasse 35 und hört erstmals Vorlesungen über Hebräische Sprache.
1808
Rückert geht für ein Sommersemester nach Heidelberg, wo er in der Mittelbadgasse N. 191 wohnt. Rückert hört dort ‚Staatsrecht‘, aber auch ‚Metrik‘ bei Heinrich Voß dem Jüngeren (1779–1822), studiert aber ab dem Wintersemester 1809/10 wieder in Würzburg. Abschluss der Studienzeit.
1809
Rückerts Familie hat nun ihren Wohnsitz in Ebern, wohin es Rückert bis 1821 immer wieder zieht.
1810
Rückert wird in die Freimaurerloge ‚Karl zum Rautenkranz‘ in Hildburghausen aufgenommen. Am 15. November wird in Ebern Rückerts jüngste Schwester Maria Ludovika geboren († 1835). Ende des Jahres geht Rückert mit seinem Bruder Heinrich nach Jena.
1811
Dem Rigorosum in Jena am 20. Februar folgt im März Rückerts spektakuläre Disputation, in der er auf die orientalischen Ursprünge des griechischen Geisteslebens verweist. Im Wintersemester 1811/12 ist Rückert Privatdozent in Jena. Es entstehen der Zyklus ‚Aprilreiseblätter‘ und erste dramatische Versuche (‚Schloss Raueneck‘).
1812
Rückert reist am 16. April ohne Vorlesungsvorschläge für das Sommersemester aus Jena ab und kehrt zu den Eltern nach Ebern zurück. Im Juni entsteht der Sonettenzyklus ‚Agnes’ Todtenfeier‘ anlässlich des Todes der von ihm verehrten Agnes Müller (1796–1812). Im Wirtshaus ‚Auf der Specke‘ in Eyrichshof bei Ebern lernt er die Wirtstochter Maria Elisabeth Geuß (genannt Marielies; 1796–1835) kennen und widmet ihr 1812/13 den Gedichtkranz ‚Amaryllis, ein Sommer auf dem Lande‘.
1813
Rückert verlässt um den 21. Januar fluchtartig Hanau, wo er eine Anstellung als Lehrer am Gymnasium erhalten hatte. Er stößt zur ‚Tafelrunde‘ des Christian Truchseß von Wetzhausen (1755–1826) auf der Bettenburg, der sich u.a. auch Jean Paul (1763–1825), Heinrich Voß d. J., Friedrich de la Motte Fouqué (1777–1843) und Gustav Schwab (1792–1850) zugehörig fühlen. Es entstehen die ‚Geharnischten Sonette‘ gegen die Fremdherrschaft Napoleons (1769–1821) und im Dezember die ‚Fünf Märlein zum Einschläfern für mein Schwesterlein‘.
1814
Die ‚Geharnischten Sonette‘ erscheinen in Heidelberg unter dem Pseudonym Freimund Reimar. Rückert besucht den Superintendenten Christian Hohnbaum (1747–1825) in Rodach bei Coburg, dem er die Idylle ‚Rodach‘ widmet.
1815
Auf Vermittlung seines Freundes Karl August von Wangenheim (1773–1850) tritt Rückert Ende des Jahres bei Friedrich von Cotta (1764–1832) in Stuttgart als Redakteur des ‚Morgenblattes‘ ein.
1816
Rückerts revolutionäre Kleidung und Haartracht führen beinahe zur Ausweisung aus dem Königreich Württemberg. Freund Wangenheim und Kronprinz Wilhelm (1781–1864; 1816 Kg.) verhindern dies. In Stuttgart schließt Rückert Bekanntschaft mit Ludwig Uhland (1787–1862).
1817
Rückert gibt seine Tätigkeit beim ‚Morgenblatt‘ auf. Bei Cotta erscheint sein Gedichtzyklus ‚Kranz der Zeit‘ (hist.-krit. Neuausgabe 2009). Anfang August tritt er über Zürich und Luzern eine Italienreise an. Ab Ende September ist er in Rom und verkehrt im Kreis der deutschen Künstler. Hier lernt er seinen lebenslangen „Freund und Kupferstecher“ Carl Barth (1787–1853) kennen. Es entstehen ‚Italienische Gedichte‘, darunter u. a. ‚Aus der Jugendzeit‘ (hist.-krit. Neuausgabe 2000).
1818
Im Frühjahr trifft Rückert in Rom mit dem bayerischen Kronprinzen Ludwig (dem späteren König Ludwig I., 1786–1868; 1825 Kg.) zusammen. Besuche in Neapel, auf Capri und in den Albaner Bergen. Am 20. Oktober reist Rückert mit dem schwedischen Lyriker Per Daniel Amadeus Atterbom (1790–1850) aus Rom ab. In Wien erweitert und vertieft Rückert bei Joseph von Hammer (1774–1856; ab 1835 von Hammer-Purgstall) nachhaltig seine Kenntnisse der orientalischen Sprachen.
1819
Ende Februar kehrt Rückert ins Elternhaus nach Ebern zurück. Es entstehen die ersten Gedichte in Form des arabisch-persischen Ghasels. In Ebern beginnen Rückerts intensive orientalische Sprachstudien.
1820
Im August besucht August von Platen (1796–1835) Rückert in Ebern. Auch Platen befasst sich mit der Form des Ghasels. Im Oktober zieht Rückert nach Coburg, um dort die herzogliche Hofbibliothek nutzen zu können. Er bezieht Quartier im Haus der Familie von Archivrat Johann Albrecht Fischer (1764–1836).
1821
Aus Liebe zu Fischers Mündel Luise Wiethaus-Fischer (1797–1857) entsteht die umfangreiche Gedichtsammlung ‚Liebesfrühling‘. Am 26. Dezember heiraten die beiden. Die ‚Östlichen Rosen‘, Gedichte in persischer Manier, erscheinen (mit 1822 als falscher Jahresangabe). Goethe (1749–1832) bespricht sie positiv in seiner Zeitschrift ‚Über Kunst und Altertum‘.
1823
Am 14. Februar kommt in Coburg Rückerts erster Sohn Heinrich († 1875) zur Welt, der später ein bekannter Germanist wird.
1824
Der zweite Sohn Karl († 1899), später Arzt in Coburg, wird am 10. April ebenda geboren.
1826
Am 23. Februar wird August, Rückerts dritter Sohn, geboren. Er wird später das Gut Neuses bewirtschaften († 1880). Die ‚Makamen des Hariri‘, ein Hauptwerk Rückerts, erscheinen. Mit Wirkung vom 1. Oktober wird Rückert zum „ordentlichen Professor der orientalischen Sprachen“ an der Universität Erlangen ernannt und zieht dorthin um.
1827
Der vierte Sohn Leo († 1904) kommt in Coburg zur Welt. Er wird Landwirt.
1828
Rückert veröffentlicht seine Nachdichtung des ‚Nal und Damajanti‘ aus dem indischen Nationalepos ‚Mahābhārata‘.
1829
Am 4. Januar wird der fünfte Sohn Ernst geboren († 1834). Der Gedichtzyklus ‚Erinnerungen aus den Kinderjahren eines Dorfamtmannsohnes‘ entsteht. Rückert beginnt die Übersetzung von Jayadevas ‚Gitagovinda‘ (Fertigstellung 1832; Erstdruck 1837).
1830
Die Familie zieht in die Erlanger Wohnung Südliche Stadtmauerstraße 28. Rückerts Tochter Luise kommt zur Welt († 1833).
1831
Am 31. August stirbt Rückerts Vater in Schweinfurt. Im Dezember vollendet Rückert die Übersetzung der chinesischen Gedichtsammlung ‚Schi-King‘ (Druck 1833).
1832
Rückerts sechster Sohn Karl Julius wird geboren, stirbt aber nur drei Tage später. Die neu gegründete Hochschule Zürich bemüht sich um Rückert als akademischen Lehrer.
1833
Im November erkranken alle Kinder Rückerts an Scharlach. Tochter Luise (* 1830) stirbt am 31. Dezember.
1834
Am 16. Januar stirbt auch der fünfjährige Ernst (* 1829). Rückert verfasst die mehr als 400 ‚Kindertodtenlieder‘ (erst 1872 veröffentlicht; hist.-krit. Neuausgabe 2007), von denen einige später von Gustav Mahler vertont wurden. Der erste Band der ‚Gesammelten Gedichte‘ erscheint, die bis 1838 auf sechs Bände anwachsen.
1835
Am 24. Juni stirbt in Schweinfurt Rückerts jüngste Schwester Maria (* 1810). Einen Tag später wird in Erlangen sein achtes Kind geboren, seine zweite Tochter Marie. Sie lebt bis 1920, bleibt unverheiratet und veröffentlicht nach Rückerts Tod Teile aus dessen Alterslyrik (‚Poetisches Tagebuch‘). Am 31. Dezember stirbt Rückerts Mutter in Schweinfurt.
1836
Rückert reist nach München, Salzburg, Tirol und ins bayerische Alpenland. Er trifft auf Schloss Hohenschwangau mit dem bayerischen Kronprinzen Maximilian (1811–1864; Kg. 1848) zusammen. Rückerts großes Lehrgedicht ‚Die Weisheit des Brahmanen‘ erscheint in sechs Bänden bis 1839 (hist.-krit. Neuausgabe 1998).
1837
Familie Rückert bezieht in Erlangen ein eigenes Haus (Ecke Fahrstraße/Südliche Stadtmauerstraße). Der siebte Sohn Fritz († 1868), später Offizier, wird geboren. Die ‚Sieben Bücher morgenländischer Sagen und Geschichten‘ sowie ‚Erbauliches und Beschauliches aus dem Morgenland‘ erscheinen im Druck.
1838
Am 1. Januar verleiht König Ludwig I. Rückert das ‚Ritterkreuz des Königlichen Verdienst-Ordens vom heiligen Michael‘. In Erlangen erscheint die Übersetzung des persischen Heldenepos ‚Rostem und Suhrab‘. Rückert erwirbt von seiner verwitweten Schwiegermutter das Gut ‚Nattermannshof‘ in Neuses bei Coburg.
1839
In Erlangen kommt das zehnte und letzte Kind, die dritte Tochter Anna, zur Welt († 1919). Bei Weidmann in Leipzig erscheinen die ‚Brahmanischen Erzählungen‘, bei Cotta in Stuttgart das ‚Leben Jesu, Evangelienharmonie in gebundener Rede‘.
1840
Rückert beginnt sein ‚Liedertagebuch‘, das er bis zu seinem Tod führt (hist.-krit. Ausg. 1846–1855: 2001, 2002, 2003, 2007, 2015).
1841
Im März erhält Rückert ein sehr vorteilhaftes Lehrangebot aus Berlin. Im Juni bittet Rückert König Ludwig I. von Bayern um seine Entlassung. Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861) ernennt ihn zum Geheimen Regierungsrat und Professor der orientalischen Sprachen an der Universität Berlin. Rückert trifft am 3. Oktober in Berlin ein. Dort vollendet er das Drama ‚König Arsak von Armenien‘.
1841 – 1845
Rückert muss in Berlin nur im Winter lesen. Hoffnungen auf Erfolge mit Dramen (‚Saul und David‘, Druck 1843; ‚Herodes der Große‘, Druck 1844; ‚Kaiser Heinrich IV.‘, Druck 1844; ‚Cristofero Colombo‘, Druck 1845) erfüllen sich nicht. Rückert lebt ungern in Berlin. Die warmen Monate verbringt er in Neuses, wo er auch eine Dichterklause bauen lässt. 1843 erscheint ‚Amrilkais, der König und Dichter‘, eine Übersetzung aus dem Arab., 1845 ‚Das Leben der Hadumod‘.
1846
Veröffentlichung der ‚Hamāsa‘, einer Sammlung altarabischer Heldenlieder und Rückerts letzte große Veröffentlichung zu Lebzeiten (hist.-krit. Neuausgabe 2004).
1846 – 1849
Für das Wintersemester 1846/47 meldet sich Rückert krank. Am 17. März 1848, einen Tag vor Beginn der Barrikadenkämpfe, verlässt Rückert Berlin, um ausschließlich in Neuses zu leben. Das Wintersemester 1848/49 wird ihm erlassen. 1849 wird Rückert auf eigenen Wunsch pensioniert.
1850
Am 22. Mai tauft der Schweinfurter Schiffer Friedrich Daniel Dittmar ein Binnenschiff auf Rückerts Namen. Im Juni schließt Rückert die Übersetzung von Saʿdī’s ‚Bostan‘ (Druck 1882; hist.-krit. Neuausgabe 2013) ab und wendet sich dem persischen Nationalepos ‚Schahname‘ des Abu l-Qasim Firdawsi (ca. 940–1020) zu. Am 19. Juli stirbt in Coburg Rückerts alter Freund Karl August Freiherr von Wangenheim (* 1773).
1853
Im September stürzt sich der „Freund und Kupferstecher“ Carl Barth zu Tode (* 1787). Am 28. November ernennt König Maximilian II. von Bayern Rückert zum Mitglied des ‚Maximilians-Ordens für Wissenschaft und Kunst‘.
1854
Beginn der Dichter-Freundschaft mit dem jungen Felix Dahn (1834–1912).
1855
Im Sommer geht Rückert die Übersetzung von Kalidasas ‚Sakuntala‘ (Druck 1876) an. Der Schriftsteller Gustav Freytag (1816-1895) besucht Rückert im Dezember in Neuses.
1857
Rückert übersetzt aus dem ‚Atharwaveda‘ (Druck 1923). Am 26. Juni stirbt seine Frau Luise (* 1797) nach schwerem Leiden.
1858
Übersetzung der ‚Idyllen des Theokrit‘ (Druck 1867).
1859
Am 24. April ordnet Rückert seine finanziellen Verhältnisse durch einen ‚Güterübergabe- und Teilungsvertrag‘ für seine Kinder.
1862
Der junge Dichter Martin Greif (1839–1911; eigentlich Friedrich Hermann Frey) besucht Rückert in Neuses.
1863
Am 9. Juli stirbt Rückerts Freund Christian von Stockmar (* 1787) in Coburg.
1864
Das ‚Freie Deutsche Hochstift‘ lässt Rückerts Büste am 28. März im Frankfurter Goethehaus aufstellen. Bertha Froriep (1833–1920), Schwester seiner Schwiegertochter Alma (1832–1910), malt Rückerts Altersporträt (weitere Ausarbeitungen bis 1888).
1865
Rückerts Geburtsstadt Schweinfurt ernennt ihn am 15. April zum Ehrenbürger. Kaiser Maximilian von Mexiko (1832–1867) überreicht das ‚Commandeur-Kreuz des Ordens Unserer Lieben Frau von Guadalupe‘. Gegen Jahresende porträtiert Karl Hohnbaum (1825–1867), ein Enkel des Rodacher Freundes Christian Hohnbaum, den an Darmkrebs leidenden Dichter.
1866
Am 31. Januar gegen 10.45 Uhr stirbt Friedrich Rückert in seinem Haus in Neuses und wird unter großer Anteilnahme am 3. Februar zu Grabe getragen.

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Biografie

Friedrich Rückert wurde am 16. Mai 1788 in Schweinfurt geboren. Nach der Versetzung seines im Verwaltungsdienst beamteten Vaters verlebte Rückert in den Jahren 1792 bis 1802 eine unbeschwerte Kindheit im unterfränkischen Oberlauringen. In seine ersten Prägungen durch diverse Ortsgeistliche hinsichtlich Naturerlebnis, Dichtung und Fremdsprachen geben die späteren Gedichte der Sammlung ‚Kinderjahre eines Dorfamtmannsohns‘ (1829; Druck 1837) Einblick.

1805 studierte Rückert auf Wunsch des Vaters in Würzburg zunächst Rechtswissenschaften, wechselte aber bereits im darauffolgenden Semester zur Philologie und Philosophie. Lehrer wie Johann Jakob Wagner (1775–1841) und Heinrich Voss d. J. (1779–1822), bei dem er 1808 in Heidelberg Metrik hörte, gaben Rückert entscheidende Anregungen für seine Sprachstudien, die in der 1811 in Jena eingereichten Dissertation ‚De idea philologiae‘ programmatisch ausgearbeitet werden: Der Philologe wird hier in den Rang eines Philosophen erhoben. Er soll mit den Mitteln der Sprachwissenschaft und Poesie eine realweltliche Sprache, vorzugsweise die deutsche, durch die Vereinigung aller Vorzüge der bekannten Weltsprachen der idealen Form von Sprache überhaupt angleichen. Diese Konzeption bildet Rückerts weiteres ‚Lebensprogramm‘ (Claudia Wiener).

Einem kurzen Gastspiel als Dozent in Jena folgten für Rückert mehrere Jahre der Selbstfindung, in denen der Fouqué-Freund Christian Truchseß von Wetzhausen (1755–1826) eine kaum zu überschätzende Rolle spielte: Letztlich waren es dessen literarische Interessen und Kontakte, die Rückert den Durchbruch im Literaturbetrieb ermöglichen würden. Im konkreten Fall der die Freiheitskriege besingenden ‚Deutschen Gedichte‘ (Druck 1814) etwa betätigte sich der Truchseß nicht nur als Mäzen, sondern nahm sich auch gezielt der Rezeption des Erstlingswerks an, indem er persönlich für Rezensionen in den namhaften Blättern der Zeit sorgte. Dem Truchseß mit seiner ‚Bettenburger Tafelrunde‘ waren letztlich auch die Beziehungen zum Verleger Johann Friedrich von Cotta (1764–1832) zu verdanken. Dieser betraute Rückert 1816/17 – gemeinsam mit Friedrich Haug (1761–1829) – mit der Redaktion des berühmten ‚Morgenblattes‘ in Stuttgart. Cotta ermöglichte Rückert auch seine Italienreise 1817/18. Auf dem Rückweg suchte Rückert zum Jahreswechsel 1818/19 den Wiener Orientalisten Joseph von Hammer-Purgstall (1774–1856) auf, um mit dessen Hilfe seine bereits autodidaktisch erworbenen Kenntnisse der Orientalischen Sprachen zu vertiefen und zu erweitern.

Bei seinen Sprachstudien 1820 in Coburg lernte Rückert das Archivarsmündel Luise Wiethaus-Fischer (1797–1857) kennen. 1821 heirateten beide. Luise inspirierte Rückert zur Gedichtsammlung ‚Liebesfrühling‘ (1821; Druck 1834, Separatausg. 1844). Von Eltern wie Schwiegereltern vielfältig unterstützt, bestritt Rückert den Lebensunterhalt der schnell wachsenden Familie zunächst durch die Publikation seines ersten im orientalischen Geist verfassten Werkes, der ‚Oestlichen Rosen‘ (1819–1821; Druck 1822). Hinzu kamen später Einkünfte aus Redaktionstätigkeiten und der Mitarbeit an Almanachen und Taschenbüchern (z. B. ‚Frauentaschenbuch‘ 1822–1825). Mit der kongenialen Übertragung des arabischen Klassikers ‚Die Verwandlungen des Ebu Seid von Serúg oder die Makámen des Haríri in freier Nach­bildung‘ (1823–1825; Druck 1826, 18787, Neue Ausg. 1989) gelang es ihm 1826, in Erlangen auf den Lehrstuhl für Orientalischen Sprachen berufen zu werden. Die nun reichlich vorhandene Gelegenheit, Sprachwissenschaft und Dichtung schöpferisch zu verbinden, führte zu einem regelrechten Produktivitätsschub. In rascher Abfolge entstanden Übertragungen und Übersetzungen von Werken aus diversen Sprach- und Kulturkreisen: 1826 ‚Nal und Damajanti‘ aus dem altindischen Heldenepos ‚Mahābhārata‘ (Druck 1828, 18896, neue Ausg. 1926), zwischen 1827 und 1829 die ‚Hebräischen Propheten‘ (Druck 1831), 1828 Firdawsi’s ‚Rostem und Suhrab‘ (Druck 1838, 18463), 1829 das altindische ‚Amaru-Satakam‘ (Druck 1831, Neue Ausg. 1925), 1831 die chinesische Anthologie ‚Schi-King‘ (Druck 1833), 1837 Jayadevas ‚Gitagovinda‘ (Druck 1837, Neue Ausg. 1920); gegen Ende der 30er Jahre schließt er auch eine Auswahlübersetzung des Koran ab (Druck 1888; Neue Ausg. 1995, 20185). Gleichzeitig stellte er seine ‚Gesammelten Gedichte‘ (Druck 1834ff.) zusammen, die bis 1838 auf insgesamt sechs Bände anwachsen sollten. Ebenfalls in die Erlanger Zeit fallen u. a. die sechsbändige Ausgabe der ‚Weisheit des Brahmanen‘ (1835/36, Druck 1836–1839; Neue Ausg. 1998) und der durch Gustav Mahlers Vertonungen (1860–1911) auch heute noch breiter bekannte Zyklus ‚Kindertodtenlieder‘ (1834; Druck 1872; Neue Ausg. 1988).

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Auf dem Gipfel seiner Produktivität erhielt Rückert 1841 den ehrenvollen Ruf Friedrich Wilhelms IV. (1795–1861) an die Berliner Universität. Vielleicht um den vermeintlichen Erwartungen des neuen Musenhofs zu entsprechen, sicherlich aber auch, um seinen eigenen Ansprüchen als Dichter zu genügen, versuchte er sich nun an historischen Dramen – allerdings weitgehend erfolglos. Die Ablehnung der von ihm wohl als Vollendung seiner dichterischen Laufbahn konzipierten Dramen erlebte Rückert als existenzielle Enttäuschung. Das führte, gemeinsam mit einer allgemeinen resignativen Grundstimmung seit Mitte der 30er Jahre, zu Rückerts Rückzug auf sein Landgut in Neuses bei Coburg. Nur einen Tag vor Ausbruch der Revolution von 1848 reiste er aus Berlin ab.

Neben seinen Sprachstudien, denen er bis ins hohe Alter treu bleiben sollte, schrieb Rückert in Neuses in nahezu völliger Abgeschiedenheit bis wenige Tage vor seinem Tode im Januar 1866 das von ihm selbst so bezeichnete ‚Liedertagebuch‘. Die etwa 10.000 und bis heute noch großenteils unveröffentlichten Gedichte kommentieren – teils resigniert, teils sarkastisch, aber durchgängig klarsichtig – den Untergang seiner Epoche.

Trotz Umfang und Vielfalt von Rückerts Dichtungen sticht ein Wesenszug ins Auge: der starke Niederschlag historischer Ereignisse. Rückerts Werk beschränkt sich allerdings nicht auf die bloße poetische Widerspiegelung seiner Lebenswelt. Vielmehr manifestieren sich hier literarische Gegenwelten: Dem Untergang des Alten Reiches als Folge der Napoleonischen Kriege steht z. B. mit den ‚Deutschen Gedichten‘ – oder exemplarisch im ‚Barbarossa‘ – die Vision von der Wiedererstehung des einigen Deutschland entgegen. Der Enge der Restaurationsepoche seit 1815 wird das Konzept der ‚Weltpoesie‘ entgegengesetzt.

Rückerts Sprachgenie und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit über 40 zumeist orientalischen Idiomen führen zu einer in der deutschen Literaturgeschichte beispiellosen philologischen Gesamtleistung. Dabei gelingt es Rückert in einmaliger Weise, in seinen Übersetzungen bzw. Übertragungen die Authentizität der fremdsprachlichen Vorlage durchscheinen zu lassen. Auch deswegen kommt ihm schon zu Lebzeiten eine Vorreiterrolle bei der Vermittlung der verschiedensten Kultur-Welten zu.

Das reformunfähige Gemeinwesen des deutschen Partikularismus konterkarieren Rückerts ‚Haus- und Jahrlieder‘ (1832–1838) mit der bürgerlichen Lebenswelt als einziger denkbarer Alternative. Darüber hinaus formulieren auch fast alle im Vormärz erscheinenden Lyrikbände handfeste Gesellschafts- und Herrschaftskritik (z. B. in der ‚Weisheit des Brahmanen‘). Nach den zerstobenen Hoffnungen auf das Paulskirchen-Parlament von 1848/49 bleibt Rückert dann nur noch der Rückzug in die letzte seiner Gegenwelten, in die Emigration äußerster Privatheit auf seinem abgelegenen Gut in Neuses. Die unzähligen dort entstehenden zeitkritischen Gedichte zielen gleichermaßen radikal auf die Antagonisten Adelsgesellschaft und Industrialisierung. Während der Adel hier in jeder Hinsicht als obsolet dasteht, wird die Industrialisierung hellsichtig im Kontext der Gefahr ihrer Entwicklung zur Massengesellschaft thematisiert. Letztlich ist es diese durchgängig ebenso kreative wie authentische Verknüpfung von Lebensepoche und Werk, gepaart mit der Rückert eigenen Sprachgewalt, die seine bleibende geistesgeschichtliche Relevanz ausmacht.

Friedrich Rückert gehört zu den meistvertonten Dichtern deutscher Sprache. Die volle ihm gebührende Anerkennung seitens der Literaturwissenschaft steht dagegen noch aus: Zum einen dürfte allein der immense Umfang des Werkes eine intensive Auseinandersetzung erschweren, zum anderen erfordert seine enorme Vielfalt unbedingt einen interdisziplinären Forschungsansatz. Seit 1998 mit der Edition des immer noch in weiten Teilen unveröffentlichten Gesamtwerks begonnen wurde, entsteht eigentlich erst die Grundlage für eine angemessene Würdigung Friedrich Rückerts. An ihrem Abschluss wird die historisch-kritische Ausgabe eines Werkes stehen, das nicht weniger leistet, als eine Epoche in ihrer Totalität zu beschreiben – und in seinem kulturvermittelnden Ansatz  weit über die eigene Zeit hinausreicht.

Biografie

Friedrich Rückert wurde am 16. Mai 1788 in Schweinfurt geboren. Nach der Versetzung seines im Verwaltungsdienst beamteten Vaters verlebte Rückert in den Jahren 1792 bis 1802 eine unbeschwerte Kindheit im unterfränkischen Oberlauringen. In seine ersten Prägungen durch diverse Ortsgeistliche hinsichtlich Naturerlebnis, Dichtung und Fremdsprachen geben die späteren Gedichte der Sammlung ‚Kinderjahre eines Dorfamtmannsohns‘ (1829; Druck 1837) Einblick.

1805 studierte Rückert auf Wunsch des Vaters in Würzburg zunächst Rechtswissenschaften, wechselte aber bereits im darauffolgenden Semester zur Philologie und Philosophie. Lehrer wie Johann Jakob Wagner (1775–1841) und Heinrich Voss d. J. (1779–1822), bei dem er 1808 in Heidelberg Metrik hörte, gaben Rückert entscheidende Anregungen für seine Sprachstudien, die in der 1811 in Jena eingereichten Dissertation ‚De idea philologiae‘ programmatisch ausgearbeitet werden: Der Philologe wird hier in den Rang eines Philosophen erhoben. Er soll mit den Mitteln der Sprachwissenschaft und Poesie eine realweltliche Sprache, vorzugsweise die deutsche, durch die Vereinigung aller Vorzüge der bekannten Weltsprachen der idealen Form von Sprache überhaupt angleichen. Diese Konzeption bildet Rückerts weiteres ‚Lebensprogramm‘ (Claudia Wiener).

Einem kurzen Gastspiel als Dozent in Jena folgten für Rückert mehrere Jahre der Selbstfindung, in denen der Fouqué-Freund Christian Truchseß von Wetzhausen (1755–1826) eine kaum zu überschätzende Rolle spielte: Letztlich waren es dessen literarische Interessen und Kontakte, die Rückert den Durchbruch im Literaturbetrieb ermöglichen würden. Im konkreten Fall der die Freiheitskriege besingenden ‚Deutschen Gedichte‘ (Druck 1814) etwa betätigte sich der Truchseß nicht nur als Mäzen, sondern nahm sich auch gezielt der Rezeption des Erstlingswerks an, indem er persönlich für Rezensionen in den namhaften Blättern der Zeit sorgte. Dem Truchseß mit seiner ‚Bettenburger Tafelrunde‘ waren letztlich auch die Beziehungen zum Verleger Johann Friedrich von Cotta (1764–1832) zu verdanken. Dieser betraute Rückert 1816/17 – gemeinsam mit Friedrich Haug (1761–1829) – mit der Redaktion des berühmten ‚Morgenblattes‘ in Stuttgart. Cotta ermöglichte Rückert auch seine Italienreise 1817/18. Auf dem Rückweg suchte Rückert zum Jahreswechsel 1818/19 den Wiener Orientalisten Joseph von Hammer-Purgstall (1774–1856) auf, um mit dessen Hilfe seine bereits autodidaktisch erworbenen Kenntnisse der Orientalischen Sprachen zu vertiefen und zu erweitern.

Friedrich Rückerts Geburtshaus in Schweinfurt
Luise Rückert, Pastell von Carl Barth

Bei seinen Sprachstudien 1820 in Coburg lernte Rückert das Archivarsmündel Luise Wiethaus-Fischer (1797–1857) kennen. 1821 heirateten beide. Luise inspirierte Rückert zur Gedichtsammlung ‚Liebesfrühling‘ (1821; Druck 1834, Separatausg. 1844). Von Eltern wie Schwiegereltern vielfältig unterstützt, bestritt Rückert den Lebensunterhalt der schnell wachsenden Familie zunächst durch die Publikation seines ersten im orientalischen Geist verfassten Werkes, der ‚Oestlichen Rosen‘ (1819–1821; Druck 1822). Hinzu kamen später Einkünfte aus Redaktionstätigkeiten und der Mitarbeit an Almanachen und Taschenbüchern (z. B. ‚Frauentaschenbuch‘ 1822–1825). Mit der kongenialen Übertragung des arabischen Klassikers ‚Die Verwandlungen des Ebu Seid von Serúg oder die Makámen des Haríri in freier Nach­bildung‘ (1823–1825; Druck 1826, 18787, Neue Ausg. 1989) gelang es ihm 1826, in Erlangen auf den Lehrstuhl für Orientalischen Sprachen berufen zu werden. Die nun reichlich vorhandene Gelegenheit, Sprachwissenschaft und Dichtung schöpferisch zu verbinden, führte zu einem regelrechten Produktivitätsschub. In rascher Abfolge entstanden Übertragungen und Übersetzungen von Werken aus diversen Sprach- und Kulturkreisen: 1826 ‚Nal und Damajanti‘ aus dem altindischen Heldenepos ‚Mahābhārata‘ (Druck 1828, 18896, neue Ausg. 1926), zwischen 1827 und 1829 die ‚Hebräischen Propheten‘ (Druck 1831), 1828 Firdawsi’s ‚Rostem und Suhrab‘ (Druck 1838, 18463), 1829 das altindische ‚Amaru-Satakam‘ (Druck 1831, Neue Ausg. 1925), 1831 die chinesische Anthologie ‚Schi-King‘ (Druck 1833), 1837 Jayadevas ‚Gitagovinda‘ (Druck 1837, Neue Ausg. 1920); gegen Ende der 30er Jahre schließt er auch eine Auswahlübersetzung des Koran ab (Druck 1888; Neue Ausg. 1995, 20185). Gleichzeitig stellte er seine ‚Gesammelten Gedichte‘ (Druck 1834ff.) zusammen, die bis 1838 auf insgesamt sechs Bände anwachsen sollten. Ebenfalls in die Erlanger Zeit fallen u. a. die sechsbändige Ausgabe der ‚Weisheit des Brahmanen‘ (1835/36, Druck 1836–1839; Neue Ausg. 1998) und der durch Gustav Mahlers Vertonungen (1860–1911) auch heute noch breiter bekannte Zyklus ‚Kindertodtenlieder‘ (1834; Druck 1872; Neue Ausg. 1988).

Auf dem Gipfel seiner Produktivität erhielt Rückert 1841 den ehrenvollen Ruf Friedrich Wilhelms IV. (1795–1861) an die Berliner Universität. Vielleicht um den vermeintlichen Erwartungen des neuen Musenhofs zu entsprechen, sicherlich aber auch, um seinen eigenen Ansprüchen als Dichter zu genügen, versuchte er sich nun an historischen Dramen – allerdings weitgehend erfolglos. Die Ablehnung der von ihm wohl als Vollendung seiner dichterischen Laufbahn konzipierten Dramen erlebte Rückert als existenzielle Enttäuschung. Das führte, gemeinsam mit einer allgemeinen resignativen Grundstimmung seit Mitte der 30er Jahre, zu Rückerts Rückzug auf sein Landgut in Neuses bei Coburg. Nur einen Tag vor Ausbruch der Revolution von 1848 reiste er aus Berlin ab.

Neben seinen Sprachstudien, denen er bis ins hohe Alter treu bleiben sollte, schrieb Rückert in Neuses in nahezu völliger Abgeschiedenheit bis wenige Tage vor seinem Tode im Januar 1866 das von ihm selbst so bezeichnete ‚Liedertagebuch‘. Die etwa 10.000 und bis heute noch großenteils unveröffentlichten Gedichte kommentieren – teils resigniert, teils sarkastisch, aber durchgängig klarsichtig – den Untergang seiner Epoche.

Trotz Umfang und Vielfalt von Rückerts Dichtungen sticht ein Wesenszug ins Auge: der starke Niederschlag historischer Ereignisse. Rückerts Werk beschränkt sich allerdings nicht auf die bloße poetische Widerspiegelung seiner Lebenswelt. Vielmehr manifestieren sich hier literarische Gegenwelten: Dem Untergang des Alten Reiches als Folge der Napoleonischen Kriege steht z. B. mit den ‚Deutschen Gedichten‘ – oder exemplarisch im ‚Barbarossa‘ – die Vision von der Wiedererstehung des einigen Deutschland entgegen. Der Enge der Restaurationsepoche seit 1815 wird das Konzept der ‚Weltpoesie‘ entgegengesetzt.

Rückerts Sprachgenie und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit über 40 zumeist orientalischen Idiomen führen zu einer in der deutschen Literaturgeschichte beispiellosen philologischen Gesamtleistung. Dabei gelingt es Rückert in einmaliger Weise, in seinen Übersetzungen bzw. Übertragungen die Authentizität der fremdsprachlichen Vorlage durchscheinen zu lassen. Auch deswegen kommt ihm schon zu Lebzeiten eine Vorreiterrolle bei der Vermittlung der verschiedensten Kultur-Welten zu.

Das reformunfähige Gemeinwesen des deutschen Partikularismus konterkarieren Rückerts ‚Haus- und Jahrlieder‘ (1832–1838) mit der bürgerlichen Lebenswelt als einziger denkbarer Alternative. Darüber hinaus formulieren auch fast alle im Vormärz erscheinenden Lyrikbände handfeste Gesellschafts- und Herrschaftskritik (z. B. in der ‚Weisheit des Brahmanen‘). Nach den zerstobenen Hoffnungen auf das Paulskirchen-Parlament von 1848/49 bleibt Rückert dann nur noch der Rückzug in die letzte seiner Gegenwelten, in die Emigration äußerster Privatheit auf seinem abgelegenen Gut in Neuses. Die unzähligen dort entstehenden zeitkritischen Gedichte zielen gleichermaßen radikal auf die Antagonisten Adelsgesellschaft und Industrialisierung. Während der Adel hier in jeder Hinsicht als obsolet dasteht, wird die Industrialisierung hellsichtig im Kontext der Gefahr ihrer Entwicklung zur Massengesellschaft thematisiert. Letztlich ist es diese durchgängig ebenso kreative wie authentische Verknüpfung von Lebensepoche und Werk, gepaart mit der Rückert eigenen Sprachgewalt, die seine bleibende geistesgeschichtliche Relevanz ausmacht.

Friedrich Rückert gehört zu den meistvertonten Dichtern deutscher Sprache. Die volle ihm gebührende Anerkennung seitens der Literaturwissenschaft steht dagegen noch aus: Zum einen dürfte allein der immense Umfang des Werkes eine intensive Auseinandersetzung erschweren, zum anderen erfordert seine enorme Vielfalt unbedingt einen interdisziplinären Forschungsansatz. Seit 1998 mit der Edition des immer noch in weiten Teilen unveröffentlichten Gesamtwerks begonnen wurde, entsteht eigentlich erst die Grundlage für eine angemessene Würdigung Friedrich Rückerts. An ihrem Abschluss wird die historisch-kritische Ausgabe eines Werkes stehen, das nicht weniger leistet, als eine Epoche in ihrer Totalität zu beschreiben – und in seinem kulturvermittelnden Ansatz  weit über die eigene Zeit hinausreicht.

Grabstein von Friedrich und Luise Rückert, Foto: Hans Schömburg

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